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Kreuzspinnen ziehen webend durch die Luft und über Hagebutten.
Beherzt wringt der Nachsommer letztes Licht aus den Wolken.
In diesem späten Moment des Aufbäumens steht die
ART Wriedel 2. X. 2o 11
Jorge Wittersheim hat für diesen Oktober erneut eine Gruppe junger Künstler, Musiker und DJs
zu sich aufs Land geladen.
Das Programm der Art Wriedel, es liest sich wie eine Übertragung aus der Sphäre der Eigentlichkeit.
In den Fußstapfen der großen Fehmi Baumbach zeigen
Fiona Sophie Hinrichs (“sterben bringen glück”)
Robin Hinsch („Becoming the Instant Cobra“)
und
Fynn Steiner („nach der welt nur köpfe“)
Auszüge ihrern neuen Arbeiten.
Diese frische Kunst ist, sagen wir es frei heraus: eine Verschwörung gegen die Sanftheit.
Gerade erst heimgekehrt vom Dockville ist die Hamburger Band „Bessere Zeiten“, die unlängst bei Tobias Levin ihr Album „Sanktionen im Schutt“
aufgenommen hat, das noch in diesem Jahr auf Alfred Hilsbergs Label„ZickZack/What’s so funny about“ erscheinen wird.
Die drei Musiker stehen für rauschhafte Klangcollagen und erratische Lyrik. Sie durchschreiten die Wüste der Dumpfheit mit einem „Pah!“ auf den Lippen.
Ein Glücksgriff für die Veranstaltung- bald in Berlin und London.
Zuerst kommt Wriedel.
Zuerst kommen mit Funk Warmbier, Claudie, den Doc Summer Dub Invaders und dem Club der schönen Mütter DJs und Musiker, die eines eint: Niveau. Internationales nämlich.
Auch kulinarisch darf aufgeatmet werden. Wenn Jorge Wittersheim etwas nicht leiden kann, dann schlechtes Essen. Um die Verpflegung seiner Gäste wird der DJ, Galerist und Musiker sich höchstpersönlich kümmern.
Die ART Wriedel II, das ist Kunst, Essen& Trinken Live.
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auf folgende weise wurde der auftritt von bessere zeiten auf dem dockville festival eroeffnet
die art wriedel kann kommen …
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Oliver von Below auf dem skandaloes festival
narzipop
Oliver von Belows Malerei erhebt sich als urgewaltiges Beschreien der emotionalen Verfasstheit.
Sie bricht mit der kapitalindividualistischen Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts und wirft einen provokanten Blick auf das widersprüchliche Wesen der Dinge. Von Belows Bilder schockieren mit Dreifachpenissen, polarisieren mit Hakenkreuzsonnen und tätowieren einen Smiley auf die Denkerstirn. Im Zentrum seines erratischen Kreuzfeuers steht der Künstler selbst.
Oliver von Below, aufgewachsen zwischen Eton und Buchholz i.d. Nordheide, malt den Gegensatz. Er zeigt sich als animalisch Verfremdeten, als politischen Agitator im Fegefeuer der ironischen Distanz und als modernen Dandy. Das Opus Magnum des Malers ist der „Hampelmann“. Über der englischen Kreideküste steht breitbeinig die riesenhafte Figur eines weißbärtigen Weisen in kurzen Hosen und Turnschuhen. In den Händen präsentiert der Alte einen Pinsel, einen Cutter und einen herausgeschnittenen Embryo. Über ihm schweben Hakenkreuze am Himmel, unter ihm liegen die Gräber. Selten ist Selbstbefragung so poptauglich komponiert worden. Nur selten war der Blick in die eigene Vergangenheit genauso lustig, wie sezierend. Jeder Pinselstrich stellt hier mit Dringlichkeit die Frage: „Drehen wir noch oder durch?“
Der Maler entwirft mit seinem „Hampelmann“ eine Landkarte des Verlustes, die in ihrer dramatischen Exaktheit dem Werk des englischen Romanciers Edward St Aubyn gleicht. Spielerisch nimmt er die „Schönen Verhältnisse“ einer stilisierten Vergangenheit und einer durchgestylten Gegenwart auseinander.
Zu sehen war von Belows Kunst bereits in der niedersächsischen Provinz, auf dem Garlstorfer Kunstfest (2009 und 2010) und in der Hamburger Hausbesetzerszene, im Gängeviertel (2010).
Text von: Fynn Steiner
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von Joachim Franz Büchner
schau mal, was ich im rheinischen merkur heute am kiosk lutterothstraße aufgelesen und gleich abgetippt hab. eine etwas zu euphorische rezension eines jungen rheinischen kulturjournalisten der gestern wohl zugegen gewesen sein muss:
Exzessiv und dezidiert anti-hochkulturell schwingt sich Fynn Steiner auf- zu einer Sternstunde.
Er ist die Sünde. Er ist die zuvor in braven Predigten und spleeniger Pädagogik gegeißelte Gier, die Eitelkeit und die Herrlichkeit in Ewigkeit, amen.
Innere Werte sind überschätzt.
Ein “gepflegter”, hochaufgeschossener Jüngling aus Manchester verblüfft das Plenum im Exzess, sorgt immer wieder für hysterisches Gelächter und Bewunderung.
Nachdem er die Kanzel erklommen hat, rezitiert er Verse aus dem Oeuvre seiner Band “Die Schmutzige Schönheit der Natur”. Das Publikum wird mit gleißender Intensität aber auch souveräner Gelassenheit wiederholt seinen seltsam einleuchtenden Salven schutzlos ausgeliefert: “Es gibt keinen Helmut Schmidt”.
Thema des Tages auf dem Kongress im Warburg Haus: Der Riss, der Umbruch. Dazu Steiner mit dem Zitat des Abends: “Ich bin ein Riss- ich will durch Wände gehen.” (Kristof Schreuf, hätte aber auch von ihm sein können).
Nachdem sich ein Vorredner bereits angesichts der Formulierung “Die Wange hinhalten” beim Publikum Verzeihung erbat, rockt und irrlichtert Steiners Kurzgeschichte mühelos mit unanfechtbarer Coolness und großer Geste.. Seine Referenzen wirken wahnsinnig aber nie deplatziert, immer überraschend. “Schwitzende Kosacken, die wir sind, brechen wir das Schloss zum Hochsitz auf. Ein abgewetzter Perser, ein schmaler Tisch und Stuhl, ein röhrender Hirsch in einem Goldrahmen und ich nehme Milo von hinten. Ich bin mir unsicher, ob mich dieser Pornofick antörnt oder abstößt. In den Tisch hat jemand mit einem Messer eingeritzt “HSV spielt wie ne Sau.””
Die Sprachbilder sind meisterhaft und wie in einem unsäglichen Traum. “Meine Hände waren aus Thymian, die Lunge ein Maklerbüro und über allem lag 2cm Schatten.”
Der Philosoph Waldenfels schmunzelt über den Rettich, der während der Lesung durch die Sitzreihen gereicht wird. Ein Höchstmaß an Stringenz.
Wahllos sind Wörter aus der Geschichte entfernt, so zollt Steiner den Rissen Tribut – es funktioniert irgendwie. Mit der Schere, die um seinen Hals hängt, will er sie herausgeschnitten haben und die Blättchen zu Fynn-Steiner-Zigaretten gedreht haben. Er, der “einen” Fynn Steiner steuern kann – an einem guten Tag.
Seine Erzählung wird neben 14 Anderen in einem leuchtend weißen, rauen Pappcover erscheinen – darauf in geschwungenen Ws der Titel: “Wabern durch Weißdorn” Untertitel “Dass es mir nicht so gut geht, kann man jetzt auch kaufen.” Das wird alles hochsterilisiert!
-Alvin Peppler, Rheinischer Merkur
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Fynn Steiner liest beim Literaturabend zum Thema: Bruch Schnitt Riss
Heute um 20:30
Warburg Haus HH
Auf der Veranda des Bungalows landete ein ziegelroter Kreuzschnabel. Ich saß an dem tiefen Marmortisch, dessen Platte gesprungen war und mir gegenüber, in dem Drehsessel, kauerte mit angezogenen Beinen der Himmel. Meine Hände waren aus Thymian, die Lunge ein Maklerbüro und über allem lag 2cm Schatten.
Es ist ein moderner Aberglaube, dass freie Zeit das Dasein versüßt. Wenig oder nichts zu tun zu haben, erschwerte mir das Leben doch sehr. Täglich musste ich mir aufs Neue die Frage stellen, wovon ich mich vereinnahmen lassen wollte. Sollte ich mich Holländischer Landschaftsmalerei, vorbei eilenden Fingernägeln oder dem leeren Kühlschrank hingeben? Tja, man hört es mir wohl an, ich war kein Freund von Zwecken, weder von guten, noch von schlechten. Wenn ich als Lamm vor mir auf dem Altar gelegen hätte, ich würde nicht gezögert haben, mich zu schlachten. Nicht gezögert haben, mein Fett dem Licht im August zuwehen zu lassen.
Es war der beginnende Abend eines Wandertages, den ich auf der Zunge verregneter Lindenblüten zugebracht hatte. Stets schoss das Leitungswasser neblig aus den Rohren. Es kam mir vor, als wäre ich der Hirte einer deutschen Wolfszucht, als waberte ich durch Weißdorn. Was mir mein Dasein aber schließlich verleidete, war der untrügliche Eindruck, dass mein Gehirn wuchs, während meine Zunge schrumpfte. Ich dachte, an den Himmel gewandt: „Doch in den kleinen Dingen, den Zweifingerberührungen und dem tiefen Mitsingen, lag die große Umwälzung verborgen.“
Er sagte dazu: Nichts. Mir dämmerte, dass ich meine Worte nicht essen konnte. Wohl aber konnte ich sie rauchen. Emsig schnitt ich mit der Schere Blättchen aus meiner Geschichte und rollte sie fingerfertig zu Fynn-Steiner-Zigaretten. Meine lumpige Seele pinnte ich mit dem Bowiemesser an die Wand. Was von meinem Manuskript blieb ist folgendes, alles andere löste ich in Rauch, im Klebstoffrausch:
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guter einsatz von kristof schreuf auf krautzungen #1
Krautzungen #1 – Pietsch / Kasbohm – Transkript
Pietsch: Zur Vorgeschichte: Es fand ein Symposium statt mit dem
Thema “On the Threshold of Theory and Praxis”. Es wurden namhafte
Künstler eingeladen, die ebenfalls auch wissenschaftlich arbeiten und
auch unterrichten, an Kunsthochschulen und an Universitäten, und die
unglaublich viel diskutiert haben und man kam eigentlich kaum hinterher,
weil die sehr abgehoben waren, schon sehr reflektiert in ihrer
Diskussion.
Kasbohm: Es war ja auch auf englisch.
Pietsch: Es war alles auf englisch. Es war sehr international. Ich
studiere Performance Studies an der Universität Hamburg und wir wurden
genötigt ein Panel auszurichten, durften dazu Gäste einladen und es
sollte ein Panel von Studierenden sein, um das als Gegengewicht noch zu
haben zu denen, die bereits uns zehn Jahre voraus sind. Dazu habe ich
Henning eingeladen als Musiker und bekannten Fantasmenforscher.
Kasbohm: Fantastikforscher.
Pietsch: Fantastik? Du hast mir doch Fantasmen geschrieben.
Kasbohm: Nein, das war ein Missverständnis.
Pietsch: Okay.
Kasbohm: Aber Fantasmen spielen auch eine Rolle, Fantasmagorie, oder
das griechische ??????????, was eigentlich Vorstellung, Erscheinung
bedeutet, ein prozesshaftes Phänomen.
Pietsch: Nun sprachen wir also alle miteinander über Theorie und
Praxis. Es stellte sich heraus, dass wir Studierenden keine Ahnung davon
haben, wie das zusammengehen soll. Und es stellte sich ebenfalls heraus,
dass untern den Studierenden eine große Utopie herrscht, die sich so
äußert, dass sie denken, dass wenn man genug wissenschaftlich
orientierte Texte gelesen hat und alle Namen, vor allem Derrida, immer
Derrida, gelesen hat …
Kasbohm: Derrida hab ich aber auch gesagt.
Pietsch: Du hast Derrida gesagt. Ich habs gehört. Henning hat Derrida
gesagt.
Kasbohm: Ich hab Derrida gesagt. Aber, der macht einen ja auch
manchmal verrückt. Manchmal auch nicht, manche macht er nicht verrückt.
Aber man kann ihn schön zusammenfassen mit “das musst du erst mal
beweisen”, das sag ich immer gerne zu meinem Bruder, “das musst du erst
mal beweisen”. Das kann man auf alles antworten.
Publikum: Musik! Raus!
Pietsch: Selber raus!
Kasbohm: Selber Musik!
Pietsch: Es fielen dann auch ernsthaft Sätze, und dass von Menschen,
die auch auf der guten Seite stehen, würde ich mal behaupten, wie, ja
wir sprachen darüber, was ist Kunst, ab wann ist es Kunst, und dann
sagte ein Kommilitone von mir “ja ab dem Zeitpunkt, an dem man damit
Geld verdient”. Ab dann ist es gesellschaftlich anerkannt, ab dann ist
es Kunst.
Kasbohm: Könnten wir, können wir das nochmal als Dialog wiederholen?
Pietsch: Wir beide miteinander?
Kasbohm: Ich bin der Kommilitone.
Pietsch: Ja wieso, ab wann ist denn das, ab wann ist denn bei dir
Kunst?
Kasbohm: Ich sag mal, ab dem Zeitpunkt, wo man da Geld mit verdient.
Pietsch: Ja wie und, also wenn jetzt son Gedicht in der Schublade
steht und noch keinen Verleger gefunden hat ist das keine Kunst, oder
wie?
Kasbohm: Das hätte ich jetzt auch gesagt. Das musst du erst mal
beweisen.
Pietsch: So ging das.
Kasbohm: Die ganze Zeit.
Pietsch: Die ganze Zeit und eine Studierende fragte auch ernsthaft
die Professorin, eine Studierende, die vorher geäußert hat, sie möchte
gerne politische Performance machen, politisch relevante Kunst, und
fragte daraufhin dann die Professorin “Ja, sagen sie mir doch mal, was
muss ich denn lesen? Was muss ich denn dafür lesen?”
Kasbohm: Wir hatten einen Philosophen anwesend. Der hätte Adorno
gesagt. Immer noch Adornit, Adornit, Adronit, Adrenot, machen sie bitte
weiter.
Pietsch: Jedenfalls stellte sich heraus, dass der große Utopismus,
den man jetzt so finden kann, der wäre, dass man über Theorie und über
Wissenschaft zu einer Praxis kommt, die dann, die einem die Tür öffnet
für künstlerische Arbeit auf professioneller Ebene. Und es stellte sich
ebenfalls heraus, dass der, das stellt sich bei diesem Studiengang auch
heraus, und das wurde auch von vielen bereits etablierten Künstlern so
geäußert, die selbst unterrichten und die da selbst drunter leiden, dass
sie an einer Institution unterrichten, die die Schüler auf ganz
konkreten Markt vorbereitet. Und für diesen konkreten Markt gibt es zum
Beispiel Schlüssel wie einen akademischen Abschluss. Und vor allem
dadurch, dass dieser Markt sich natürlich auch immer mehr, immer mal
wieder zuspitzt, weil das ja alles immer schlimmer wird.
Kasbohm: Ja, das Erwerben des Wissens, meinst du das? Das Erwerben
des Wissens, das ja auch über Studiengebühren funktioniert, zumindest
habe ich das so, aus meiner Erfahrung – das durfte ich ja vorhin nicht
sagen, weil die Diskussion ja abgedriftet ist – dass durch die
Studiengebühren ich die Erfahrung gemacht habe, dass meine Studenten
Wissen erwerben wollten, also sich nicht Wissen einfach erarbeiten
wollten. Klingt jetzt aber auch irgendwie son bißchen nach alt Sack,
Stammtisch oder so.
Schreuf: Klingt nach Guttenberg.
Kasbohm: Ja, das ist ja noch ein viel einfacherer Weg. Wird jetzt
nicht mehr so stark Schule machen, oder? Ich weiß es nicht. Oh doch. Du
wolltest grad was sagen?
Pietsch: Ja, natürlich. Letztlich wollt ich noch einmal
zusammenfassen, die große Frage, die dort aufgeworfen wurde, war: “Ist
wissenschaftliche Theorie der Schlüssel für künstlerische Praxis in
seiner wirklichen Ausführung, oder ist es nur der Schlüssel für
professionelle Arbeitsplattformen?”
Kasbohm: Die wissenschaftliche Theorie liegt ja eigentlich auch
drunter. Die wissenschaftliche und unwissenschaftliche Theorie, mehrere
tausend Jahre Kultur, so gut oder schlecht, so bewusst oder unbewusst
sie auch sein mag. Und die erste Frage dieser Veranstaltung war ja,
welche Visionen man so hat, als Künstler, oder als professioneller – ich
glaube professionell taucht in dieser Frage auf, oder? “Where do you
envision yourself?” Ich weiß es nicht.
Pietsch: Ich weiß es nicht mehr.
Kasbohm: Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist es ja ganz schön
schwierig, sich zu fragen, wo sieht man sich, zum Beispiel als Musiker,
“Wo sehen sie sich in zehn Jahren?” oder “Wie möchten sie gerne sein?”.
Knarf Rellöm sagte ja mal, ich glaube auf der zweiten Soloplatte, in
diesem Pakt mit dem Teufel, “Ich möchte gerne viele Platten verkaufen,
ohne ein Arschloch zu sein.” Das ist wahrscheinlich auch richtig. Ich
dachte dann, ja, aber nicht nur ohne ein Arschloch zu sein, man sollte
sich ja auch so weit wie möglich seine Unabhängigkeit bewahren. Jackson
Browne zum Beispiel ist glaub ich kein Arschloch, netter Kerl, hat aber
nur, glaube dreieinhalb gute Platten gemacht, soll aber auch immer brav
seine Drogen geteilt haben und so weiter, als die anderen schon ihr Koks
zusammengerafft haben, ja, und Inhaber einer großen Firma – weiß nicht
welche – drei sehr tolle Platten gemacht und damit viel Geld verdient,
die ganze Zeit getourt und worüber macht er dann die vierte Platte?
Darüber, die ganze Zeit auf Tour zu sein, hieß dann auch passenderweise
“Running on empty” und war seine gute Platte, seine letzte gute Platte.
Das möchte man als Musiker vielleicht auch nicht, also ich möchte das
nicht haben. Möchtest du das haben?
Levin: Äh, ja!
Schreuf: Ja, ich auch.
Pietsch: Ich möchte das nicht haben.
Kasbohm: Möchtest du seine dreieinhalbte Platte haben?
Pietsch: Auch nicht.
Kasbohm: Seine dreieinhalbte gute, ich hab die Nico mal geschenkt,
die nochmal gefunden, findet man immer billig im Regal, in der
Grabbelkiste.
Publikum: Dreieinhalb sind besser als keine.
Kasbohm: Ja, das auf jeden Fall. Und wie gesagt, kriegst
hinterhergeworfen, ein, zwei Euro.
Levin: Er wollte ausprobieren, ob er noch ne gute Platte machen
kann. Ist doch logisch. Lena Meyer-Landrut, man hört erst auf, wenn man
weiß, das es richtig beschissen geworden ist. Das muss man aber erst mal
wissen. Also dann hört man auf.
Publikum: Oder man fängt dann an.
Levin: Ja, Neu! zum Beispiel, genau. Völlig okay, ne beschissene
Platte zu machen.
Kasbohm: Er hat glaub ich viele beschissene danach noch gemacht.
Levin: Ja, er hats immer wieder versucht, völlig okay.
Kasbohm: Ja, he’ll die trying.
Levin: Was denkst du denn, bei welcher Platte hörst du denn auf?
Kasbohm: Ich hab ja noch keine beschissene gemacht.
[UNRUHE]
Levin: Bist du mehr so auf der Seite von – Pete Townshend sagt
“Ich muss die Fackel abgeben, die jüngeren müssen jetzt weitermachen.”
Kasbohm: Äh…
Pietsch: Du bist doch die jüngeren.
Kasbohm: Ich bin die jüngeren.
Levin: Echt?
Schreuf: Hat Jackson Browne die professionelle Äußerungsplattform
erreicht, oder hat er sie erreicht und wieder verlassen?
Kasbohm: Er hat sich ja sogar in einem wissenschaftlichen Sammelband
geäußert, oder vielleicht ist er auch nur geäußert worden, …
Levin: Wieso “sogar”?
Schreuf: Jackson Browne hat schlechte Platten gemacht und war
trotzdem kein Arschloch.
Kasbohm: Und Frank Sinatra hat gute Platten gemacht und war ein
Arschloch, sagt man.
Publikum: Quatsch! / Das stimmt.
Steiner: Ein Gentleman.
Kasbohm: Gentleman hat gute Platten gemacht?
Steiner: Nee, guck mal, ich bin wie Frank Sinatra, deswegen hab ich
auch das Jacket an, obwohl es fünftausend Grad heiß ist. Das ist
einfach, Niveau ist ne Frage von Stil.
Kasbohm: Ist ein alter Pudel-Aufkleber.
Steiner: Ja, und das ist in meine Seele geritzt, ganz tief.
Schreuf: Was ist denn jetzt mit der Utopie? Hier war eben von der
Utopie die Rede.
Pietsch: Ich frage mich gerade, wo da der Pragmatismus steckt.
Kasbohm: Der Pragmatismus der Utopie steckt naturgemäß in der
Heterotopie – hey, das klappt ja – was ja gewissermaßen die realisierte
Utopie, Orte oder Unorte der Gesellschaft, wo halt in die Ordnung Sachen
eingeschlossen sind, die eigentlich der Ordnung widersprechen, was
natürlich irgendwie ein zweischneidiges Schwert ist. Einerseits, sind
das subversive Orte, die halt offizielle Ordnung unterminieren,
andererseits sind es Orte, an denen die Ordnung ihre Macht beweist,
dadurch, dass diese Orte nur subversiv sind. Das kann zum Beispiel das
Gefängnis sein oder der Friedhof.
Levin: Okay. Und wie würdest du trotzdem Musik weitermachen? Wie
machst du trotzdem weiter?
Kasbohm: Trotz der Gefängnisse?
Levin: Ja, wie machst du trotzdem weiter?
Kasbohm: Trotz aller Gefängnisse
Levin: Ja, wie machst du trotz aller Gefängnismusik – sehr gute
Grundfrage – leg los!
Kasbohm: Ich hab mir die Johnny-Cash-Platte angehört, die eine, die
andere nicht, …
Schreuf: Mit ewigen Werten kann jeder argumentieren. Ich hab
Shakespeare gelesen.
Kasbohm: Ich hab Shakespeare sogar im Kino gesehen.
Schreuf: Ich hab James Last am Hamburger Flughafen gesehen.
Kasbohm: Ich war in München neben Karl Dall aufm Flughafenklo.
Schreuf: Ich möchte jetzt noch mal was zu der Utopie hören, hier war
eben was von, vom Pragmatismus der Utopie und von der Utopie die Rede.
Kasbohm: Die Utopie ist doch gar nicht da, deswegen ist sie ja die
Utopie. Deswegen ist die Heterotopie ja Pragmatismus. Das erste
heterotopische Konzept hat Foucault 1967, oder war es 68?
Candelilla: Wir wollen jetzt spielen!
Kasbohm: Ihr wollt jetzt spielen?
Candelilla: Ja!
Kasbohm: Willst du nichts mehr über Foucault hören?
Schreuf: Doch!
Kasbohm: Kristof möchte was über Foucault hören.
Schreuf: Doch, ich möchte heut unbedingt was über Foucault, Foucault
ist gut!
Kasbohm: Foucault ist gut.
Publikum: Foucault selbst hat das Konzept verworfen. / Das ist ein
guter Abschluss. / Fukushima!
[APPLAUS]
Schreuf: Nee nee, kein Abschluss!
Kasbohm: Naja, der hatte ja zwei Konzepte davon. Und das erste war
das sprachliche, und das ist ja das ganz tolle, …
Pietsch: Aber Henning, da sprichst du ja für die Theorie.
Kasbohm: Ja, und zwar zitiert er in der Einleitung zur Ordnung der
Dinge eine Erzählung von Borges, in der eine fiktive …
Schreuf: Bibliothek!
Kasbohm: … Enzyklopädie vorkommt. Eine chinesische Enzyklopädie, in
der eine Ordnung der Tiere vorgenommen wird. Und diese Ordnung der Tiere
umfasst Tiere, die den Krug zerbrochen haben, Tiere, …
Schreuf: Die dem Kaiser gehören, ja.
Kasbohm: … die dem Kaiser gehören und die mit einem ganz feinen
Pinsel mit nur einem Haar gezeichnet sind.
Schreuf: Aber das war 1966, Mann!
Kasbohm: Siebenundsechzig. Und verbrannt wurde er, verbrannt wurde er
von Godard.
Publikum: Weiter! / Ja, weiter. / … Strukturalisten …
Kasbohm: Bitte? Strukturalisten?
Schreuf: Nee nee nee, nicht aus dem Konzept bringen lassen, bitte
weiter!
Kasbohm: Ich wollte den Abend eigentlich nicht aus dem Konzert
bringen lassen und …
Levin: Gute Zeile.
Kasbohm: … zuendeerzählen. Ja, achso, durch diese Ordnung merkt man
halt, wie sprachliche Kategorien, Erkenntnistheorien zusammengeordnet
werden können, ohne, dass es unserer gewohnten Ordnung entspricht und
äh, uns zum Lachen bringt und so weiter, ich hab das doch jetzt auch
nicht wortwörtlich im Kopf. Ich bin jetzt ja auch nicht der beste
Rekapitulator.
Pietsch: Ja, …
Schreuf: Ihr steht auf der Bühne, ihr steht in der Bringschuld!
Pietsch: Nein, nein, nein, nein …
Kasbohm: Wir kriegen ja kein Geld dafür. Mir ist ja noch nich mal
mein versprochenes Bühnenbier gebracht worden.
[UNRUHE]
Levin: Was ist das fürn Scheißargument?
Schreuf: Das ist keine Kunst, was ihr da macht! Runter von der Bühne!
Levin: Scheißargument!
Publikum: Geld ist kein Maßstab!
Nils: Gib die Tomaten zurück!
Levin: Wie? Keine Künstler?
Kasbohm: Ja wo sind die Tomaten eigentlich hingekommen?
Schreuf: Ihr seid gar keine Künstler, das ist doch Beschiss! Ihr seid
Pseudos!
Kasbohm: Wir sind Popper.
Candelilla: Wir wollen jetzt spielen!
Pietsch: Ja! Dann schließen wir mit den Worten von der wundervollen
Künstlerin und Philosophin Bojana Kunst: “Don’t forget, it should be
fun!”
06. Juni um 01:30 · Gefällt mir · · Abbestellen
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Freitag, 03. Juni: KRAUTZUNGEN – MUSIK&KUNST
mit DIE SCHMUTZIGE SCHÖNHEIT DER NATUR (D-Hamburg)
PETULA (D-Berlin) & CANDELLILA (D-München) & DJ SKL
Eine aktivierende, genreübergreifende und überregionale Abendveranstaltung kuratiert von der Gruppe BESSERE ZEITEN, im Auftrag des LABORS FÜR PRAGMATISCHEN UTOPISMUS.
DIE SCHMUTZIGE SCHÖNHEIT DER NATUR: Nonchalant argumentiert sich die Band an die Energyriegel der musikalischen Upperclass Hamburgs heran und beißt einmal kräftig ab. “Mhm, das schmeckt uns gut!”scheinen die fünf Spitzensportler der Intellektualität zu sagen, denen in Sachen Songwriting und Selbsthass niemand so schnell etwas vormacht.
PETULA is about loop tectonics, honey-y melody and the occasional clicky beat. PETULA ist Action, Drama und Schönheit, sorgfältig begraben unter einem vielschichtigen Mikrosound.
CANDELLILA: Die Drums treiben alles voran, der Bass hält hart Schritt, die Gitarre hat Drive, das Piano und der (Sprech-) Gesang aus drei Kehlen tanzen auf den Schlägen. Eine Wort-Armee greift von vorne, von hinten, von kreuz und quer aus allen Liedern an.
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