Sieben Pilze und Fehmi Baumbach

by eskalaparty on 24. Juni 2010

text: fynn steiner | fotos: jorge wittersheim

Entlang der B4 bremsen wir vor 5 Blitzern ab.

Wir kriechen.

Dann fliegen wir Richtung Schloss.

In der Löwenstadt Braunschweig treffen wir heute die selbsternannten Zwillinge und ausdrücklichen Collagenkönige Fehmi Baumbach und Kristof Schreuf.

Kristof Schreuf wird im Rahmen des Theaterformen- Festivals ein Solokonzert zum Soloalbum „Bourgeois with Guitar“ spielen. Jorge, Fehmi und ich wollen das sehen.

Davor wollen wir über das sprechen, was außerdem topaktuell ist.

Fehmi Baumbachs Bildband „my head is bubble with interesting trouble”.

Als ich vorm Staatstheater aus dem Wagen steige, steigt vor mir ein großes Grün in den Himmel. Gespickt mit Jungen an Mädchenoberschenkeln, mit Dackeln und Dosenbier. Auf dem Gipfel gehen wir um ein Zirkuszelt, dessen Eingänge alle verhängt sind. Von drinnen dringen Mikrofonansagen nach draußen. Wir verstehen kein Wort. Wir sind im falschen Park, wir müssen den Hügel wechseln. Versprengte Villen flankieren den braunen Fluss entlang unseres Umweges. Am Flussufer liegen Leser im schwächer werdenden Sonnenlicht. Wir treffen Fehmi Baumbach an einem Stehtisch vorm Bierwagen. Sie trägt königsblaue Schuhe und trinkt Sekt. Gemeinsam erklimmen wir einige Stufen am Fuße des benachbarten Hügels. Hier ist es etwas ruhiger. Gerade erst wurde der Rasen gemäht.

„Fehmi Baumbach, ist das ein Künstlername?“ Sie lächelt. „Nein, Fehmi, das ist ein türkischer Männername. Ein Name, der aus der Mode geraten ist. Er bedeutet der Kluge und der Donner. Meine Mutter hatte damals viele türkische Bekannte.“ Aus ihrer türkisen Tasche fischt sie die gebundene Sammlung ihrer besten Collagen aus den letzten zehn Jahren und überreicht sie uns. Die war eigentlich für Kristof. Ich blättere darin. Wir sprechen über Jägermeister. Der kommt wie Fehmi Baumbach aus Wolfenbüttel.
Fehmi Baumbach wuchs als Tochter zweier Existenzialisten in der niedersächsischen Provinz auf. 1971 geboren studierte sie von 1992- 1996 Kunst an der HBK Braunschweig. Dann zog sie nach Berlin, wo sie erste Ausstellungen organisierte und wo es zur Gründung der Bewegungselite kam. Was „The Bewegungselite“ hieß schildert Künstlerkollegin und Freundin Almut Klotz, die das Vorwort zum Bildband geschrieben hat. Sie lernte Baumbach auf einer der Bewegungselite- Kunstpartys kennen, die in Berlin veranstaltet wurden. Es wurde gesoffen, krakeelt und getanzt. Fehmi Baumbach spielte sehr gut Minigolf und verschüttete Cuba Librè (über die ihr bis dato unbekannte Almut Klotz). Das Konzept der wiederkehrenden Veranstaltungen der Bewegungselite war es, leerstehende Häuser aufzubrechen, für einen Tag zu besetzen und dort erschwingliche Kunst aus erdrückenden Kontexten heraus zu schweißen. Weil die Idee so gut war fanden die Partys bald nicht nur in Berlin, sondern auch in Prag, Stuttgart, Paris und New York statt. Und Fehmi fiel auf. Sie war das Mädchen mit den schönen Augen. Man nannte sie Inkjet- Dadaistin.
Der Blick in ihre Biografie verrät: Fehmi Baumbach ist unprätentiös, sie ist produktiv, Fehmi ist grenzüberschreitend. Nonchalant verwischt sie die Trennlinie zwischen Kunst und Feier. Sie ist ein explosiver Cocktail aus Idee, Handlung und Verschwinden. Fehmi Baumbach wirkt als Rausch.
„Jedem seinen Rausch, solange er nicht drauf hängen bleibt.“ sagt sie. Sie trinkt einen Schluck Sekt. Um ihre braunen Locken schweben weiße Tupfer Schafskraut im Grün des nahen Gebüschs. Jorge umkreist uns für einige Augenblicke mit der Kamera. Fehmi findet es durchaus konsequent sie einem dadaistischen Kontext zuzuordnen, auch wenn sie wiederholt Wert darauf legt, dass sie lieber kontextfrei arbeiten wolle. „Wie Francis Bacon.“ gibt sie zu Bedenken. Sie schneidet, malt und klebt am persönlichen Kosmos herum.
Nach dem Ende der Bewegungselite (Höhenflug) führte Fehmis schöpferische Suche nach dem Eigenen zum Seeleausdemleibsingen im Popchor, der Arbeit als Djane und 2003 schließlich zur Kooperation mit Jim Avignon aus der die „Friendly Capitalism Lounge“ entsprang. Diese gern mit dem Hinweis „Kapitalismus ist niemals freundlich“ versehene Veranstaltungsreihe fand unlängst das 13. Mal statt. In Hamburg. Eine solche Veranstaltung ist an einem Tag beides: Vernissage und Finissage. Begleitet von befreundeten Bands und Djs. U.a. in Hamburg dabei: Frank Spilker, Frau Kraushaar und Jens Friebe.

Im Gespräch erinnert sich Fehmi an die Zeit, als ihre Mutter die Wohnung weiß einrichtete und Joy Division hörte. Wenn Almut Klotz ihr als Djane im Vorwort des Bildbandes „my head is bubble with interesting trouble“ (ein Titel, den man nicht oft genug wiederholen kann, so gut ist er) eine sprudelnde Originalität bescheinigt, dann steht das für Fehmi in einem engen Zusammenhang mit der musikalischen Prägung durch ihre Eltern, auch wenn sie als Mädchen die Wohnung lieber rosa oder lila eingerichtet hätte, wie sie konstatiert. Mühelos sprengt sie heutzutage Genregrenzen, hört zum Arbeiten immer Musik und darf sogar von sich behaupten, in Berlin für Jürgen Trittin und Freundin aufgelegt zu haben. Ja, sie haben getanzt, während Almut Klotz und Fehmi Baumbach damit zu tun hatten, die Plattenteller festzuhalten. Die Tanzfläche bebte. „ Wir sollten mal was spielen, um die Leute runter zu bringen.“ „Nein!“
Als Ian Curtis Suizid verübte, erklärte Mutter Baumbach der Tochter: Er hatte Schwermut. Ein Wort, über das Fehmi lange gegrübelt hat. „Was bedeutet das, Schwermut?“

Auf ihrer „ian curtis“ betitelten Collage ist ein Fischmensch zu sehen, der in Polyesterhemd und Lederschuhen auf einem Stein an einer Küste Zigarette raucht. Über ihm schwebt eine Gruppe leblos anmutender Seepferdchen. „lebte ich weiter als nicht fliegender fliegender fisch an der küste zu finnland um dem ganzen kram aus dem wege zu gehen.“ hat Fehmi in Druckbuchstaben neben dem Fischmensch vermerkt. Er hat beides: einen Fischschwanz und Beine, eine Zigarette und Kiemen.
Wir sprechen über Politik. Darüber dass ich Helmut Kohl sehr schöne finde und dass Fehmi ihn widerlich findet. Es zählt auch nicht, dass er im Sommerurlaub die Hirsche zu füttern pflegte, da kennt Fehmi kein Pardon. Erst recht nicht, was das Lieblingsmenu des Altbundeskanzlers Dr. Helmut Kohl betrifft. Ich probiere einen anderen Helmut und Altkanzler und frage sie, welchen Tierkörper sie Helmut Schmidt zuordnen würde. Jorge schlägt Seeotter vor, aber Fehmi entscheidet sich für Nilpferd. „Ein Tier, das nicht von seinem Kurs abzubringen ist.“ Ein stilbildendes Element ihrer Collagen ist in „my head is bubble with interesting trouble“ die Verschmelzung von Mensch und Tier.
Deshalb passiert es auch nicht selten, dass Fehmi eben danach gefragt wird. Sie findet es praktisch, ihren Protagonisten durch Tierköpfe Charaktereigenschaften zuzuordnen. So wird aus einem Krähenkopf auf einem Menschenkörper ein Blick in die Gedanken. Der Betrachter erfährt das Wesen, das er vor sich hat. Fehmi bricht durch die Zuordnung von Tieren die Oberfläche menschlicher Inszenierung. So wird sie ohne den Duktus des Besserwissers zum auktorialen Erzähler ihrer Collagen- Fabeln. Und so ist sie zunächst einmal die Königin des Rätselhaften.

Fehmi über die Saatkrähe: „Die Saatkrähe kann sprechen lernen. D.h. sie ist außergewöhnlich schlau, dabei aber zurückhaltend und scheu. Ein vorsichtiger Vogel.“
Obwohl ihr die belehrende Absicht eines Äsop völlig abgeht, bewegt sich Fehmi gerne im Reich der Fabeln und jongliert erfrischend energetisch mit den Versatzstücken des Genres.
Fehmi Baumbachs künstlerischer Blick ist zumeist ein nach innen gewandter. Sie bewegt sich mit ihren Arbeiten in einem Spannungsfeld zwischen Alltag und künstlerischem Dasein. Auf der einen Seite der Waagschale liegen Landleben, Warteschleifen, Rechnungen, Mutterschaft und Liebe, auf der anderen ihr dionysisches Denken, ihre oft brillanten Ideen und ihre weniger guten Einfälle. Ihre Lust aufs Tanzen, den Rock’n'Roll.
Fehmi stellt den Widerspruch als einzige Möglichkeit zu sein dar. Ihre Bilder und Texte mögen sich weder vollständig den glamourösen Hemdsärmeln der Kunstwelt, noch ganz und gar der so erholsamen wie öden Einsiedelei hingeben. Kein Wunder also, wenn ihr Kopf eine Blase voller interessanter Interessenskonflikte ist.
Kein Wunder, dass Fehmi immer wieder die Flucht als Thema aufgreift. „HUH SCHNELL WEG BEVOR MICH DAS ALLTAGSMONSTER WIEDER EINFÄNGT“ schreibt sie unter ein skurriles Wesen in schwarzem Badeanzug. In der mit „kopflüge“ betitelten Collage wünscht sie sich „(…)alles schwierige hinter mir gelassen zu haben.“ Auf „enorm“ erfreuen sich zwei Kosmonauten daran „enorm entfernt, dadurch enorm individuell“ zu sein.
Wiederkehrendes Symbol des Widerspruchs „Banal-Genial“ ist in Fehmi Baumbachs Collagen der Fliegenpilz. Auf etwas mehr als 70 Seiten Collagen gibt es 7 Pilze. Einen davon auf dem Cover des Bildbandes, der namensgebenden Collage. Im Wald ist der Fliegenpilz harmlose Deko am Wegesrand, im Mund verwandelt er sich in ein gefährliches Halluzinogen. Und schließlich gibt es da noch die Kinder, die den Pilz unter ihren Gummistiefeln zermalmen.

Almut Klotz beschreibt Fehmi Baumbach als „junge Frau, die gleichzeitig alles macht und zwar gekonnt“. Sie attestiert ihr im positiven Sinne „mädchenhaft“ zu arbeiten. Damit bezieht sie sich auf Reinheit, Sorgfalt und Konzentration von Fehmis Arbeiten. Darüberhinaus berichten Bilder wie „kind frisst hirn“ und „zwischendurch im zwischenstand“ von der Schwierigkeit Künstlerin und Mutter zu sein. Als „Rockerbraut und Mutter/ ich gehe wie auf Butter“ hat Bernadette Hengst das zuletzt besungen und auf die Schwierigkeit eines Lebens ohne Rolemodel verwiesen. Spätestens mit Erscheinen ihres Bildbandes tritt Fehmi Baumbach für das gelebte Entwederundoder ein. Künstlerin und Mutter: das ist nicht leicht, aber es schließt sich genauso wenig aus.
Fehmi Baumbach und ich sitzen auf den noch sonnenwarmen Treppenstufen schräg gegenüber der Bühne, wo später Kristof Schreuf auftreten wird. Jorge setzt sich wieder zu uns und von Fabeln kommen wir auf Stanislaw Lems „Solaris“ zu sprechen. Im Roman erforscht der Ozean eines fremden Planeten seine menschlichen Erforscher. Als zehnjährige hat Fehmi das erste Mal Andrei Tarkowskis Verfilmung des Romans gesehen. Sie beschreibt den Film, später auch das Buch, als prägend. Manchmal sieht sie sich den Film auf stumm geschaltet an, wenn sie arbeitet. Auf der einen Seite ist das mit Sicherheit Inspiration für die durchaus gehäuft auftretenden Science Fiction- Elemente in ihren Collagen. Auf der anderen Seite regen Fehmis Fokus auf Hybride und die wiederkehrenden Bildelemente Diamanten, geschliffene Gläser aus den 50ern, Fliegenpilze und Füße zur Entwicklung einer eigenen Wissenschaft an. Einer erfundenen Wissenschaft, vergleichbar mit Lems fiktiver Solaristik die groß im Erschaffen von Neologismen und bissig im Parodieren des Wissenschaftsbetriebs ist. Ganz klar, dass diese Wissenschaft eben deshalb Fehministik heißen müsste, weil das nicht geht.
An guten Tagen glücken Fehmi bis zu fünf neue Collagen, entweder im DinA4 Format oder 50×1,60m. Diesem enormen Output mag es geschuldet sein, dass Fehmi selbst sich die Textzeilen ihrer Bilder nicht merken kann. Dabei sind viele ihrer Texte für sich genommen bemerkenswert. Sie sind wie in „komme später wieder aber nicht zurück“ kleine Passagen von der unprätentiösen Klasse eines großen Songs. „Nun flog ich weg. Weit weg. Wollte fernab vom Gemeingefälligen Mein Sein. Nahm mir mit ein Herz und schüttete es ins Ungewisse um schneller zu fliegen. Adieu Adieu. Adieu Adieu. Adieu Adieu. Adieu Adieu. Adieu Adieu. Komme. Später wieder. Aber nicht zurück.“

Nachzulesen und zu genießen, zu prüfen und zu verwerfen ist all das in Fehmi Baumbachs Bildband

my head ist bubble with interesting trouble

der im März diesen Jahres im Ventil Verlag erschienen ist und 15€ kostet.

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eskalaparty 26. Juni 2010 um 23:54
ian curtis 2. Juli 2010 um 04:37

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