Paris, der Panther und ich

April 25, 2006 on 12:07 pm | In caroline says, fynn |


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  1. Paris, der Panther und ich

    Ich sitze am Computer und überlege, wie müde ich bin. Müde wie ein Arbeiter, müde wie ein Kiffer oder müde wie ein Hund? Ich wünschte, ich könnte den Wind von draußen hören. Die Heizungsluft steht still. Sie ist dick wie Mörtel. Ich hätte gern irgendeine Krankheit, die würde mich auf Trab halten. Ich hätte gerne Vorfahren, die aus einem anderen Land kommen. Ich hätte gerne englische Urgroßeltern. Ich sehe einen roten Fußball auf mich zufliegen, ich spiele einen Kopfball und der Rasen ist braun. Das Bild verschwindet, bevor der Ball ins lange Eck fliegt. Ich versuche manchmal, nachts ans Tore schießen zu denken. Ich krieg den Ball nie über die Linie. Es ist nicht so, dass ich keine Tore schießen würde. Ich kann es mir nur nicht vorstellen. Jedes Mal hält der Torwart auf der Linie und ich muss nochmal schießen und ich treffe ja doch nicht. Meistens versuche ich etwas anderes, um einzuschlafen. Ich will ja glücklich einschlafen, wie ich es gelernt habe. „Du kannst dich den Tag über gerne streiten, aber abends wollen wir glücklich einschlafen.“ Ich mag das. Wenn ich aufwache, kann ich aufstehen. Wenn ich aufstehe, kann ich mich bewegen. Ich beherrsche das Aufstehen, nur mach ich es nicht gerne. Ich starre auf den Bildschirm und überfliege Partyfotos von Paris Hilton. Was macht Paris Hilton denn da, warum sind ihre Brüste zu sehen? Das ist ihr Beruf, erinnere ich mich. Ich finde, sie ist sehr gut in ihrem Beruf. Wenn ich eine Reederei hätte, würde ich sie als Kapitän einstellen. Stattdessen habe ich zehn sechsseitige Würfel auf dem Fensterbrett liegen. Welcher Würfel durchschnittlich das beste Ergebnis erzielt, wollen Sie wissen? Ich kann es Ihnen verraten. Es ist der blaue. Manchmal stelle ich mir ein stundenlang vor, er wäre ein Raumschiff. Das ist ein schönes Gefühl. Jetzt sehe ich Paris Hiltons Brüste nicht mehr, sie hat Schmetterlinge darüber geklebt. Ich mag es, wie sie mich anguckt. Ihre Augen sprechen mit mir und sie sagen: „Ich kann dich nicht ausstehen.“ Das macht sie ehrlich und vielleicht hilft es mir. Ich wollte ja schon eine ganze Weile Lou Reed werden. Dann hab ich die Blasen vom Gitarre spielen bekommen. Dann hab ich gesehen, wie sich Gitarristen die Fingernägel wachsen lassen. Es war einfacher, was ich als Kind werden wollte. Cowboy oder Feuerwehrmann, man will sich ja nicht vorzeitig festlegen. Ich muss auch sagen, dass mir diese Offenheit im Leben immer viel geholfen hat. Man hat mir z.B. anvertraut, ich würde immer genervt aussehen. Ich seh gerade, Paris Hilton hat einen Führerschein. Ich habe keinen.
    Vielleicht kann sie mich ja mal mitnehmen. Wir wohnen doch in der selben Gegend, also das mein ich jetzt metaphorisch. Ich sitze am Computer und überlege, wie müde ich bin.
    Meine rechte Hand zeichnet ein Gesicht auf die Rückseite des letzten Kontoauszugs. Es ist ein schmaler Kopf, die Haare sind glatt und zu lang. Die Augen stehen weit auf. Der blaue Bart hat etwas metallisches. Meine linke Hand streicht über die Wangen. Die Konturen verschmieren. Die rechte Hand ergänzt ein weißes Hemd und schiefe Zähne. Warum starrt mich dieses Gesicht so an? Der Typ sieht nicht aus wie einer meiner Freunde. Also was will er von mir? Ich lass mich ja auch nicht von anderen Leuten zeichnen und starre sie dann an. Jedenfalls nicht das ich wüsste. Ich fühl mich überfallen. Der schwarze Panther nickt mir zu, er gibt mir recht. Ich hab ihn vom Schutt. Überall an seinem Körper ist die schwarze Farbe abgebröckelt. Darunter ist Ton zu sehen. Sieht fleischfarben aus. Er nimmt es gelassen. Er sitzt da wie ein buddhistischer Mönch. Nicht im Schneidersitz, aber genauso beharrlich. Ich fang an mich mit ihm zu unterhalten. Immerhin wohnt er jetzt schon zwei Wochen bei mir. Da sollte man anfangen, sich kennen zu lernen. Ich versuch es unverbindlich. „Wie geht es dir?“ „I’m fine. How are you?” Achso, der ist Engländer. Hätt ich mir ja auch denken können. Seine Familie kommt ursprünglich aus Indien. Sein Urgroßvater ist nach England ausgewandert. Er ist erst vor ein paar Jahren nach Deutschland gezogen. Aus beruflichen Gründen. Er hat einen Lehrauftrag für englische Literatur an der Hamburger Universität angenommen. Ich schlag vor, wir könnten ja mal zu dritt was trinken gehen. Paris, der Panther und ich. Die beiden sind einverstanden. Wenn die beiden einverstanden sind, dann gehen wir etwas trinken. Die beiden sind einverstanden, also gehen wir etwas trinken. Ich ziehe mein schwarzes Sakko an. An der linken Brusttasche habe ich einen Anhänger von Papst Johannes Paul II. Ein ovales Bild, in Gold gefasst. The difference between Jesus and me is the money. Cause the Pope did a very, very clever merchandise. Ich zieh den Hut vor dem Mann. Ich verzieh das Gesicht. Meine Frisur sitzt nicht. Es ist falsch zu glauben, ich hätte keine Frisur. Meine Haare sind dagegen, aber ich kämme sie rüber. Rüber nach rechts. Immer rüber. Meine grünen Turnschuhe haben sie im Übel&Gefährlich schwarz getrampelt. Ich nehm die blauen, passt sowieso besser. Paris und der Panther müssen sich nicht groß umziehen, die gehen beide nackt los. Ich trau mich das nicht und komm mir deswegen schon unten an der Kreuzung ausgegrenzt vor. Es ist gar nicht so einfach, mit seinen Freunden etwas trinken zu gehen. Ich geh also los, mein Kopf ist zu Hause und deswegen geh ich. Ich will ihn von zu Hause weg bekommen. Um irgendwas zu schaffen, müssen wir es erstmal an einen Tisch schaffen. Wenn man sich schon auf dem Weg dahin nicht versteht, ist es ein sehr langer Weg. Selbst wenn es keine 500 Meter sind. Und es sind nicht mal 300. Wir setzen uns an einen braunen Tisch mit weißer Decke. Im Radio läuft Herbert Grönemeyer. Das wär jetzt ja super, mit einem fiesen Spruch über Herbert Grönemeyer ins Gespräch einzusteigen, denk ich. Das kann ich aber nicht machen. Ich find es wunderbar, wie er diesen Fehlfarbensong gecovert hat. Und dann ist das Lied auch schon zu Ende und die Chance ist weg. Jetzt muss ich mir Paris Hiltons Gerede anhören. Die spricht den Panther immer mit „Herr Rushdie“ an. Ich hatte ihn eigentlich „Jimmy White“ nennen wollen. Jetzt aber etwas einfaches, das kann ich auch. Die Bestellung. Ich nehme Martini. Den weißen. Er nimmt einen Whisky und sie trinkt Ananasschnaps. Immerhin, ich hab nichts falsch gemacht. Ich fingere an Johannes Paul II. herum. Der Schnaps ist blau. Paris wispert irgendeinen Namen, den ich mir nicht merken kann. Im Radio läuft Pur. Da kann ich keinen Spruch bringen, wär alles viel zu abgegriffen. Die beiden reden jetzt über Samuel Beckett. Ich bestell noch einen Martini und starre Paris unabsichtlich an. Immerhin sitzt sie ja nackt auf der Bank. Ich denke darüber nach, was mir zu Samuel Beckett einfällt. Nicht viel, nur „Warten auf Godot.“ Warum ich überhaupt mitgekommen bin, will ich wissen. Warum bin ich mitgekommen? Der Martini klärt das für mich, indem er mein Zuhause ausschaltet. Es ist als ob er Bleistiftkonturen mit dem Kugelschreiber nachziehen würde. Und ich sitze in diesem Kasten und bin nur eine von 500 Perspektiven, aus der man mich in diesem Comicband sehen kann. Es ist nicht die schönste, aber sie gehört genauso dazu wie das Cover. Ich könnte den Kasten verwischen, aber dann würde es unübersichtlich werden. Don’t use your brain. Paris flirtet mit dem Mädchen an der Theke, aber wie sie es macht. Sie lächelt, sie macht ein Kompliment. Sie setzt sich zu ihr und bestellt ihr einen Drink. Sie streicht sich das blonde Haar zurück und ich stell mir vor, ich wär Joey Tribbiani. Das Mädchen lächelt, das Mädchen errötet. Paris nimmt ihre Hand und es sieht so schön aus. Die beiden sitzen an der Theke, Hand in Hand und lächelnd. Hand in Hand, so verschlungen. Ich denke wenn Paris Hilton einer meiner Würfel wäre, dann der blaue. Plötzlich fällt mir so vieles zu Samuel Beckett ein, aber der Panther hört mir nur mit halbem Ohr zu. „No, I regret nothing, all I regret is having been born, dying is such a long tiresome buisness I always found.“ Ich meine, ich kann fließend Beckett zitieren. Er starrt aus dem Fenster. Draußen wehen die Tannen im Wind. Eine Laterne flackert, eine Maus verschwindet in einem Blätterhaufen. Wolken verdunkeln die Sterne, bedrohlich ziehen sie vorbei. Ich stelle mir vor, Paris Hilton wäre ein Raumschiff. Ich erinnere mich, wie mein Freund mir auf dem Schulhof eine Flash Gordon Figur schenkt. Wir steigen aufs Klettergerüst und ich hab Höhenangst. Ich lass Flash Gordon in den Sand fallen. Der Panther trinkt aus, steht auf und geht rüber zur Theke. Er schlägt Paris mitten ins Gesicht. Er ist völlig außer sich. So hab ich ihn noch nie gesehen. Paris fällt vom Barhocker, ihr Gesicht ist blutverschmiert. Der Wirt ruft die Polizei. Ich will was machen, aber ich weiß nicht was. Ich will was machen, aber es ist wie ein Freitagabend. Ich kann nach Hamburg fahren, ich kann mir einen Film ansehen, ich könnte etwas kochen, ich kann Snooker spielen gehen. Ich bleibe vorm Computer sitzen. Ich sitze am Computer und überlege, wie müde ich bin. Ich finde, er übertreibt. Das muss ich doch finden. Oder finde ich, dass Paris übertrieben hat? Ich denk wieder an Samuel Beckett. Ich mag sein zerfurchtes Gesicht im Bücherregal stehen sehen. Ich hatte keine 40€ für diesen Sammelband. Ich hätte so gerne diesen Sammelband gehabt. Die anderen Gäste geraten in Aufruhr. Die einen rennen nach draußen, die anderen wollen sich einmischen. Und immer wieder brüllt der Wirt etwas; ich höre ihn nicht. Ich sehe ihn an, aber obwohl sein Mund auf und zu geht, höre ich nichts. Die sind hier doch alle nicht ganz dicht, ich bin spinn doch total. Ich steh auf und geh nach draußen. Ich sitze nicht mehr am Computer, weil ich dafür viel zu müde bin.

    Kommentar von eskalaparty — 25. April 2006 #

  2. […] haette natuerlich heiszen muessen::: adoleszens 2oo6, die jungen herrn tun sich beschwern kannst doch schon froh sein wenn sie nicht ins tuerstehermilieu abrutscht […]

    Pingback von www.eskalaparty.de » jugend 2oo6 — 25. April 2006 #

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