neu !!!
Januar 18, 2006 on 1:27 am | In caroline says, fynn |17.01.2006 23:55:20
Von :Old Nobody
Das ist wie mit Hannibal Lecter
eine geburtstagskurzgeschichte von
fynn steiner
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Der Tag breitete sich vor uns aus wie Tusche, die mit zuviel Wasser auf ein Ausmalbild aufgetragen wird. Träge nahm ich mir einen Keks. Die trockene Heizungsluft vermischte sich mit der nasskalten Luft aus Richtung des gekippten Kellerfensters. Wir sahen uns Golf im Fernsehen an.
„Golf ist wirklich eine schlimme Sportart,“ bemerkte ich entnervt.
„Ja stimmt, die ist wirklich öde. Es passiert überhaupt nichts, keiner bewegt sich irgendwie.“
Ich schüttelte den Kopf. „So hab ich das nicht gemeint. Ich meine, die haben diese wunderbaren Schläger. Diese filigranen Eisen, diese praktischen Hölzer und die wunderbaren, T-förmig geschwungenen Putter. Aber was machen sie damit? Sie haben nichts Besseres zu tun, als damit Bälle über den Rasen zu schlagen. Golfer haben überhaupt nicht begriffen, was es heißt, ein hochwertiges Eisen in der Hand zu halten. Warte, wir suchen einen Axtmörder und ich zeig dir was ich meine.“
Jeremias schaltete den Fernseher aus und ich wählte uns ein Eisen und einen Putter aus der Golftasche seines Vaters aus. Ihm drückte ich den Putter in die zögernde Hand. So ausgerüstet traten wir nach draußen, wo uns der eisige Wind fast den Atem verschlug. Es war Anfang Januar und der Schneematsch hatte begonnen, zu starren Klumpen zusammen zu frieren. Wir gingen an der roten Kirche vorbei bis zum Kriegerdenkmal, das den Anfang des Kleckener Friedhofs markiert. Ein Axtmörder kam uns wankend entgegen. Seine Gesichtszüge wirkten roh und ungestüm, sie waren auf eine gehässige Weise verzerrt. Seine blutunterlaufenen Augen starrten uns irre entgegen. Der Mörder mochte Mitte dreißig sein, trug sein dunkelblondes Haar kurzrasiert und machte in seinem rotweißen Holzfällerhemd eine ausnehmend schlechte Figur. Zwar waren seine Arme unter den hochgekrempelten Ärmeln muskelbepackt, doch sein Bauch trat so deutlich hervor, dass er die Jeans weit nach unten drückte. So konnte der arme Mann kaum einen Fuß vor den anderen setzen, ohne zu stolpern. Hinzu kam, dass kein vernünftiger Mensch Anfang Januar eine abgeschnittene Jeans und ein aufgeknöpftes Hemd trägt. Dazu war er noch barfuß, was ich wirklich bescheuert fand. Da erkältet man sich doch sofort, weiß doch jeder. Wie blöde war dieser Axtmörder denn? Ich überlegte, denn ich wollte nicht unfair sein. Wahrscheinlich waren seine Eltern geschäftlich viel unterwegs gewesen und hatten deswegen nicht viel Zeit für ihn gehabt. Als sie eines Tages nach Hause kamen, hatte er dann eine Axt genommen und sie tot geschlagen. Unruhig scharrte er mit seinen wolligen Zehen über den Kies und schwang dazu die Axt. Er schwang sie, als wollte er mir versichern ihm wäre nicht kalt, weil er genügend Bewegung hätte. Das stimmte natürlich nicht, er hatte eine Gänsehaut und ihm klapperten die Zähne. Ich trat zu ihm heran, schwang mein herrliches Eisen und hieb ihm ordentlich auf die Finger der rechten Hand, mit der er sein Mordinstrument hielt. Die Axt fiel zu Boden. Er heulte auf wie ein Kind und steckte die getroffenen Finger in den Mund. Sofort setzte ich nach und schlug ihm auf den linken Fuß. Der Axtmörder begann mit schmerzverzerrter Miene auf einem Bein zu tanzen. Dabei stieß er Flüche aus, die mehr wehleidig als wütend klangen. Ich bekam Mitleid mit dem geplagten Mittdreißiger und holte zu einem letzten Schlag aus. Ich traf ihn mitten auf den voluminösen Bauch und er fiel hintenüber. Dort blieb er liegen und leckte seine Wunden. Er machte nicht einmal den Versuch, seine Axt zu ergreifen, die Jeremias mit einem beherzten Tritt ins Gebüsch befördert hatte. Nach einer Weile kroch er unter unseren sorgenvollen Blicken auf allen Vieren in Richtung Fußballplatz davon. Ich nahm mir vor in ein paar Tagen einmal nach ihm zu sehen.
„Siehst du, was ich meine,“ fragte ich, an Jeremias gewandt.
„Ja, ich denke ich hab einen Eindruck bekommen,“ antwortete er nickend.
„Das ist wie mit Hannibal Lecter,“ knüpfte ich an meine anfänglichen Ausführungen an. „Er isst nur Leute, die seiner Meinung nach etwas Schlechtes tun. Er verspeist einen miserablen Flötisten, um den Klang des Orchesters zu verbessern. Allerdings ist seine Methode doch etwas zu triebhaft, für meinen Geschmack. Ich meine, schlachtet der Bauer denn die Kuh, die von der Weide läuft und plötzlich die Landstraße entlang trottet? Nein, er versetzt ihr ein paar saftige Hiebe und treibt sie zurück auf die Weide. Der Bauer weiß: Egal wie blöd dieses Tier sein mag, es wird noch Milch geben. Und Milch ist das, was er von der Kuh will und keine Forschungsergebnisse zu Wittgensteins Wahrheitstafeln.“
„Ja.“
Als ich „Schweigen der Lämmer“ das erste Mal gesehen hatte, hatte ich zum ersten Mal seit längerer Zeit wieder richtige Angst einzuschlafen. Das war ein schönes Gefühl.
Jeremias hat dafür aber nichts übrig. Er zieht Chuck Norris Anthony Hopkins alle Mal vor und das ist eine Entscheidung, die ich gut verstehen kann. Wenn ich ein amerikanischer Kriegsgefangener im Vietnam wäre, ich hätte keine Angst. Colonel Braddock würde mich befreien, da bin ich mir sicher. Und wenn er deswegen ein ganzes Volk erschießen müsste, dann wäre das eben so. Es gibt ja auch noch so was wie gut und böse. Vielleicht fühlt sich Jeremias in Klecken manchmal wie ein Kriegsgefangener, wenn er unrasiert in seinem Kellerzimmer sitzt und K-TV sieht oder einen Pizzakarton an die Decke klebt.
„Guck mal, da hinten kommen zwei Mädchen.“
Ich folgte Jeremias’ ausgestrecktem Arm und tatsächlich. Aus Richtung der Bäckerei näherten sich uns zwei hübsche junge Dinger. Wie Grazien schritten sie in ihren rosafarbenen Daunenjacken leichtfüßig über den Asphalt. Sie traten an uns heran und fragten nach Zigaretten. Wir hatten keine Zigaretten, luden sie aber auf eine Flasche Cola in die Bäckerei ein. Wir standen um einen runden, grauen Tisch herum. Yvonnes Daunenjacke war etwas nach oben gerutscht und ihr Bauchnabel war zu sehen. Nadine trug hochhackige Stiefel und reichte mir fast bis zur Schulter. Als sie zur Theke ging, um sich eine Packung Airwaves zu kaufen, stolperte sie. Die beiden waren sehr schöne und intelligente junge Frauen, sowohl charmant als auch emanzipiert. Wie ein Schneeglöckchen im Frühling brach in uns der Wunsch nach einer richtigen Beziehung durch den frostschweren Boden. Ich glaube Jeremias dachte sogar ans heiraten. Die beiden wollten aber nur ficken; die ganze Zeit. Sie fanden uns rein körperlich interessant und sprachen nicht viel. Immerzu machten sie aufreizende Gesten. Yvonne blinkerte gekonnt mit den Augen und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Ich sah sie an und nahm einen Schluck Cola. Da gab es einen Interessenkonflikt. Wir auf der einen Seite, so intellektuell und erwachsen und auf der anderen Seite diese triebhaften Gören. Die fanden nur unsere Körper gut und wir fanden das total kindisch. Also trieben wir sie schließlich mit den Golfschlägern aus der Bäckerei. Wir jagten sie am Kriegerdenkmal vorbei über den Friedhof bis zum Fußballplatz. Dort hatte der Axtmörder damit begonnen, sich ein kleines Haus aus Kartons und Gebüsch zu bauen. Das Haus sah scheiße aus und wir hauten es gleich kurz und klein. Yvonne und Nadine fanden den Axtmörder total sexy, wie er da so auf dem Rasen saß und sich einen abfror. Die wollten gleich anfangen sich zu paaren.
Wir staunten nicht schlecht über unsere kleine Kolonie auf dem Fußballplatz. Die Mädchen und der Mörder hatten etwas rührendes, wie sie da über den Boden krabbelten und miteinander rangen und grunzten. Wir beobachteten sie noch eine Weile, gleich einem Wanderer im Wald, der kopfschüttelnd einen Ameisenhaufen betrachtet.
„Ich hätte schon gern mit einer geschlafen,“ bemerkte Jeremias. Ich nickte und hob die Axt auf. Wir gingen zurück in sein Kellerzimmer.
Kommentar von fynn — 18. Januar 2006 #