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  1. Der Organist

    Ich nachts im Bett. Wenn ich mich jetzt bewege, dann wird er mir in den Hals beißen. Einen Moment noch bleibe ich liegen, dann halte ich es nicht mehr aus und laufe zu meinen Eltern ins Bett.
    Nachts kurz vorm Einschlafen. Wenn ich mich jetzt nicht endlich bewege, wird nichts passieren. Ich stehe auf, ich mache das Fenster auf. Die Straßenlaterne wirft Licht auf die Straße zur Polizei. Ich habe ein Lied im Ohr. Was möchtest du verändern, Caroline Saunders? Da ist nichts was du verändern kannst, Caroline Saunders. Ich ziehe mich an und gehe aus dem Haus. Ich habe mir meine eigenen Klamotten gekauft, ich gehe mir Cola holen, ich bin auf der Straße. Auf dem Weg zur Tankstelle. Vorbei am Friedhof. Die Araltankstelle taucht die Straße in grelles Blau. Meine Turnschuhe sind nass vom Schnee.
    Ich summe Caroline Saunders Lied. Caroline Saunders, Caroline Saunders. Es gibt nichts, was du machen kannst. Hier hab ich Moritz das letzte Mal getroffen, vor zwei Jahren. Er sagte: „Ich habe Dope dabei, aber ich biete dir nichts an. Ich weiß, es ist nichts für dich.“
    Dann setzte er sich wieder aufs Fahrrad, er fuhr ziemlich wacklig. Er fuhr ziemlich wacklig bis nach Ohlendorf. Jeder hat seine Geschichten. Er fuhr raus aus meinen Geschichten. Und die Geschichten fallen wie Regen. Manchmal plötzlich, aber es sind immer dieselben. Ich war froh, nichts von dem Zeug nehmen zu müssen.
    Der Junge im blauen Kittel kassiert die Cola. Ich kaufe zwei Dosen und er fasst sie an. Auf der Konfirmandenfreizeit hat er mir von seiner Vogelspinne erzählt. Dann hat er Playboyausgaben ausgepackt. Ich sagte: „Ich glaube, wir haben uns nicht viel zu erzählen.“ Dann aber Stockholm Syndrom, wir schliefen ja in einem Zimmer. Zurück zuhause kein Wort mehr, kein Gruß. Jetzt fasst er meine Cola mit seinen Spinnenhänden an. Mit den Händen, mit denen er Mäuse kauft und ins Terrarium setzt. Ich hab ziemlich viele Superhelden gebraucht, um mit Vampiren und Spinnen klar zu kommen. Ich finde ihn ekelhaft. Was hatte seine Spinne noch gleich für einen Namen? Ich glaube es war „Mausi.“
    Wieder draußen wische ich die Dosen an meiner Jacke ab. Eine öffne ich. Mein Magen zieht sich für einen schmerzhaften Moment zusammen. Ich würde sofort Werbung für Coca-Cola machen. Ich weiß, irgendwann kommt der Konzern. Dann werde ich bereit sein. Wahrscheinlich überraschen sie mich beim Trinken.
    Caroline Saunders, Caroline Saunders. Ich geh die Straße runter und komme wieder am Friedhof vorbei. An der Ampel steht der Organist. Er trägt einen langen grauen Mantel. Dazu einen schottisch gemusterten Hut. Wonach wählen Designer eigentlich die Muster aus? Symbolisieren die nicht die Clanzugehörigkeit? Oder ist das wieder nur eine dieser überdrehten Rollenspielerhalbwahrheiten? Wenns nach denen ginge, wäre ja alles auf einem Zettel zu erklären. So wie Friedrich März mit seinem Bierdeckel. Genauso beschissen. Auf jeden Fall auch steigerbar.
    Der schottische Hut ist zu klein, er wirkt bescheuert. Ich grüße den Organisten seit Jahren nicht. Seit ich einer der heiligen drei Könige war. Ich wollte Melchior sein, meinte aber Balthasar. Ich wollte der Schwarze sein.
    Warum sollte ich jemanden grüßen, der hinter zwölfjährigen Mädchen her ist und sich ständig räuspert? Ich grüße überhaupt nicht viele Leute, aber solche schon gar nicht. Er spricht mich an: „Sie haben alles weggehört. Sie sind gekommen, mit ihren gierigen Ohren und sie haben alles weggehört. Verstehst du, da ist keine Musik mehr.“
    Versteh ich nicht, ich hab noch dieses Lied von Caroline im Ohr und zuhause die neue Art Brut Single liegen. Die Vorstellung finde ich trotzdem gut. Leute kommen mit ihren Ohren dicht an dich ran und hören dir deine Musik weg. Dann sitzt du da, oder du stehst an einer Straße und redest. Du tust alles, nur damit es nicht so still ist. Ich geh weiter. Nur weil ich ihn witzig finde, steh ich noch lange nicht auf kleine Mädchen. So weit geht es dann doch nicht.
    Die Cola schmeckt nach den USA. Mit amerikanischer Gelassenheit schlendere ich über deutsche Gullys. Ich schlendere sonst nicht, fällt mir auf und sofort lass ich es bleiben. Vielleicht ist das dieses jugendlich Ungeschickte in mir. Dieses Erwachsenwerden. Ich habs nie irgendwo finden können. Im Gehen bin ich aber wirklich nicht gut. Ich lehn mich zu weit nach vorne oder ich bewege die Arme falsch. Ich gerate ins Stolpern und mache zu viele Schritte.
    Ich klettere in den Rohbau an der Straßenecke. Ein paar Schaufeln liegen herum. Ich bin vorsichtig, um nicht in irgendein Loch zu fallen. Es stinkt nach Beton. Ich setze mich in ein noch glasloses Fenster und schmeiße die erste Dose in den Schnee. Kalter Wind weht mir ins Gesicht. Meine Füße frieren und ich öffne die zweite Dose mit einem Zischen.
    Ich denk an mich als Balthasar. Ich finde das liebe Jesulein im Stroh und bringe ihm Coca- Cola. Ist doch alle Mal besser als Weihrauch, Myrrhe oder Gold. Vielleicht alles nicht unbedingt kindgerecht. Jetzt werd ich selbst mir zu blöd. Es ist wirklich ein schlechtes Zeichen, wenn man nicht mal mehr selber über seine Witze lachen mag. Ich denke an die gierigen Ohren. Begeistert stelle ich mir einen Rohrstock vor. Auf die Finger, zack. Und auf die Ohren, zack. Denen wird die Lust an ihren Diebereien schon noch vergehen, zack. Ich finde es sehr schön, Sünden in den Griff zu bekommen. Du sollst nicht stehlen, zack. Da haben wir es doch, darum geht es doch. Ich war unglücklich, nichts von dem Dope geraucht zu haben. Vielleicht wäre ich verträumter. Der Wind fing an mir tierisch auf die Nerven zu gehen. Ich puste ja auch nicht ständig anderen Leuten ins Gesicht. Ich schlug den Jackenkragen hoch und starrte in die Nacht. Weiter hinten konnte ich das Licht in meinem Zimmer sehen. Ich hatte es angelassen. Besonders weit war ich wirklich nicht gekommen.
    Gedankenverloren summte ich das Lied, das ich gestern Nacht geschrieben hatte. Caroline Saunders, Caroline Saunders. Es gibt nichts, was du machen kannst.

    Kommentar von fynn — 11. Januar 2006 #

  2. Fynn´s Nachtspaziergang wurde gesponsert von Coca-cola.

    Kommentar von dax — 11. Januar 2006 #

  3. das stockholm syndrom - mal wieder „hundstage” gucken
    .
    ich war ja selber auf ner jugendfreizeit
    16 tage durch finnland mit dem oertlichen neonazi
    in einem zelt, fuer die zeit wars ok
    er ging dann zum bundesgrenzschutz
    .
    die brauchen das . grenzen setzen

    Kommentar von eskalaparty — 11. Januar 2006 #

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