20 Millionen Romane und Kristof Schreuf

by eskalaparty on 24. Juni 2010

text: fynn steiner | fotos: jorge wittersheim

Wir stehen auf, klopfen uns die Hosen ab, Fehmi trägt eine dunkelblaue 7/8- Hose, und gehen gemeinsam zur weiß gewandeten Bühne vor dem Bierwagen. Ein paar Augenblicke später trifft Fehmi alte Freunde aus der Zeit der Kolossalen Jugend und wir werden uns erst kurz vor Ende des Sets noch einmal treffen. Was jetzt folgt ist Fehmis lange verschollener Zwilling, der erratische Songpeitscher und ausdauernde „Anfänger beim Rocken“- Autor Kristof Schreuf. Dass er ein Soloalbum veröffentlicht hat, angeblich bereits ein zweites mit seiner furiosen Band „Brüllen“ in der Mache hat und jetzt endlich wieder auftritt, muss unbedingt als Sensation gelten.

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Wenn der Mann großer Worte sein neues Album „Bourgeois with Guitar“ nennt und sich darauf der Montage bekannter Texten zwischen bekannte Melodien (anderer Songs) widmet, erscheint mir das genuin. Für mich war Schreuf, anders als für Fehmi, nicht zuerst der Sänger Kolossalen Jugend, sondern ein Name, ein Versatzstück in einem Blumfeldsong. „Anders als glücklich hat Kristof Schreuf gesagt“ sang Jochen Distelmeyer auf seinem Album „Testament der Angst“ und das nahm ich damals zum Anlass auf skyeyeliner.de.vu (wahrscheinlich, obwohl seit Jahren nicht mehr aktualisiert, die immer noch beste Blumfeldseite im Netz) zu recherchieren, wer das denn wäre. Ich kaufte das Brüllen Album „I’m a boy with Schatzitude“ und war hin und weg von der Sprachgewalt solcher Sätze wie „Was ich noch zu sagen hätte dauert eine Zigarettenfabrik.“
Das ist heute, wo man in Facebookstatusmeldungen rechnet, immer noch etwas, das ich gut und sehr gerne ein dutzendmal wiederhole, ohne dass es mir langweilig wird. 2003, während ich mich mit Fernsehen auf mein Abitur vorbereitete, entdeckte ich Schreuf als Teilnehmer des Ingeborg Bachmann- Wettbewerbs auf 3Sat und geriet ins Jubeln. Seinen Text über Bruce Banner/ den unglaublichen HULK fand ich außerordentlich. Gewonnen haben trotzdem andere und ich warte jetzt seit 7 Jahren auf „Anfänger beim Rocken“. Was ich damals gewann war die Überzeugung, unbedingt auch genreübergreifend tätig sein zu können. Scheiß auf die Expertengesellschaft und ihre bebrillten Alchimisten. Was Kristof Schreuf mit der Teilnahme am Literatur- Wettbewerb vorlebte, hat er mit der umtriebigen Fehmi Baumbach gemeinsam. Für beide gibt es keine verbindlichen Genregrenzen. Aber die Parallelen führen noch weiter. Ebenso wie Fehmi bedient sich Schreuf in seinem Werk unterschiedlichster Versatzstücke aus einem im weitesten Sinne popkulturellen Kontext.

Kristof Schreuf nimmt Bezug auf die Musik aus der Konserve, als er in hellem Hemd und geschmackvollen Lederschuhen die Bühne betritt, sagt er ins Mikrofon: „Spiel doch nochmal einen Song von meiner Supportband Chris Rea.“ Er widmet sich seiner Gitarre, bevor er aufblickt und feststellt: „Schönen guten Abend, ich bin Kristof Schreuf und ich darf ein paar Songs spielen.“

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Bei dergestalt lakonischen Ansagen soll es hingegen nicht bleiben. Vielmehr sind es an diesem Abend gerade die kämpferischen Hinwendungen zum Publikum, die das Besondere des Konzerts ausmachen.
Es passiert dauernd“ berichtet Kristof Schreuf „und manchmal kommt es immer noch vor. Ein junger Mensch hört Musik, er gründet eine Band und will mehr sein als die Summe seiner Berufsausbildungen.“
Dann stimmt er Highway to Hell an. Das animiert ein paar Zuschauer vorsichtig mitzusingen. Nicht zu laut, denn Kristof Schreuf ist auf der Bühne mehr Respektsperson als er nach eigenem Bekunden sein will. Und so singt er alleine, erklingt im klarsten Sound, im Zwiegespräch mit seiner E-Gitarre unterm Vogelbeerbaum auf der Festzeltbühne. Ihm gegenüber: Bier und Bratwurst. Über ihm stimmen die Amseln ihren Dämmerungsgesang an.
Viele der Zuschauer sitzen in einem Hufeisen aus Gartenstühlen vor der Bühne. „Normalerweise sage ich an dieser Stelle immer: Kommt doch ein bißchen näher!“ schüttelt er den Kopf. „Aber ich sehe ein, dass das mit den Stühlen schwer ist.
Wozu er anschließend ausholt ist ein wichtiges Statement zu seinem Selbstverständnis als Künstler. Und das geht so: „Glaubt nie an die Wahrheit dahinter. Wenn einer davon spricht, ist er ein Poser. Wenn er die Wahrheit nicht teilen kann, kann es mit der Wahrheit nicht so weit her sein. Dann ist man ganz schnell Verschwörungstheoretiker auf dem Weg nach rechts. Dan Brown: Illuminati. Das ist ein Bespiel für die Wahrheit dahinter. Ich will eine idiotensichere Wahrheit!“
Ein Zuschauer ruft: „Das ist die Wahrheit hinter der Wahrheit!“ Schreuf: „Eben nicht!
Ich schweife in Gedanken etwas ab, schaue rüber zu Fehmis königsblauen Schuhen und schnappe nur am Rande die Namen „Central Park“ und „Voltaire“ auf. Das sind gute Namen. Sie sind so sexy. Und sie haben, wie Schreuf zugesteht, absolut nichts mit seinem nächsten Lied zu tun.
Ist das verständlich, was ich so singe?“ erkundigt er sich fürsorglich bei uns. „Ich meine akustisch? Angenehm? Aber nicht zu leise?“ Sicherlich will auch Kristof Schreuf seinem Publikum gefallen. Aber eben auf die richtige Weise. Noch lieber würde er männermäßig ansagen und gleichzeitig stimmen können.
Irritiert fasst er die irrlichternde Bühnenbeleuchtung ins Auge und will wissen: „Wolfgang, sucht mich das Licht? Oder muss ich diese Installation noch verstehen?“ Wenn ich diesen Satz zitiere, ist das mehr als die bloße Mitschrift des Gesagten. Denn die Reflexion seiner Umwelt spielt im Bühnenprogramm heute Abend eine wesentliche Rolle. Aber der Sänger verharrt nicht in bloßer Wahrnehmung und Zurkenntnisnahme. Er will mehr, er will bewegen und bewegt werden. Der Geist Kristof Schreufs ist der Schuster, der uns unsere Wanderschuhe für die Alpenüberquerung fertigt. Schreuf propagiert die verantwortliche Rolle des Künstlers in der Gesellschaft. Gleichzeitig ruft er jeden dazu auf, künstlerisch tätig zu sein.

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Er fragt singend: „Meint ihr nicht? Wir könnten nur noch kleine Kreise ziehen? Wir könnten. Wir könnten vergolden. Es signieren. Aber wir könnten. Hallo Freundfeind, mein guterschlechter Rat. Liegt es daran, dass du betrunken bist, oder hast du nur einen Kater?“ Dann hält er inne.
Was mir durch den Kopf geht: Die meisten Leute unterschätzen sich, das ist nicht gut. Was sie am Besten können, fragt keiner. Daher wissen sie nicht, was sie können. Sonst hätten sie gefährliche Gedanken. So denken sie: Ja, ich könnte Musik machen, aber wenn es nicht die 9.Sinfonie ist, lass ich es lieber bleiben.
Kristof Schreuf schreibt mit seiner Gitarre große Fragezeichen auf die Gesichter der Fassbiertrinker, Bratwurstesser und Theaterfestivalbesucher. Viele fragen sich das Naheliegende: „Hä?“ Er spielt Brüllens „Es ist so still.“ Ein Mann im Totenschädelpullover schlägt vor, ihn rauswerfen zu lassen. „Ruf doch da mal an!“ bittet er inständig. Er hat Pech, denn die Frau neben ihm findet etwas an Kristof. Offenbar findet sie ihn witzig. Dass er viel mehr als das ist, beweist sein nächster Appell für die Kunst: „Jeder vierte Deutsche hat angeblich einen Roman im Schreibtisch liegen. Das sind 20Millionen Romane… Auf der Buchmesse in Leipzig erscheinen jährlich 15000 Romane aus aller Welt. Das ist doch ein Witz! Das ist schlecht. Diese Sachen müssen raus. Sonst hat man doch bloß einen Zipfel vom Ausschnitt!“ Er redet sich in Rage. Den Beweis für die Richtigkeit seines Appells soll sein nächster Song erbringen. „Am/G/E/F/Em. Das kann jeder machen. Das kann jeder in einer halben Stunde lernen. Nur ich brauch dafür zwei Wochen. Es sollten mehr Leute sein!“ Was Kristof Schreuf vorschwebt ist eine Mündigkeit des Künstlerischen im Menschen. Es ist das Erkennen und Realisieren des Talents. Er ruft dazu auf, über die Mündigkeit des Bürgers hinaus zu gehen und Kunst zu wagen. Dabei ist er auf der Suche nach einer klaren, guten Sprache für seine Idee. Oft klingt es deshalb wie etwas auswendig Gelerntes, wenn er zum Publikum spricht.
Geht nicht nur zu Theaterfestivals, macht Theater!“ ruft er zum Beispiel. Er weiß, wie peinlich das sein kann. Aber das hält ihn nicht davon ab, weiter zu machen. „Gott, ich fühl mich wie Wolfgang Niedecken! Aber es stimmt: Jeder ist kreativ. Man kann eine Sonate auf einem Schuhkarton trommeln.“ Und dann versucht er es noch expliziter. Zum Merken für immer. „Es gibt zwei Lügen. Lüge eins: Ich bin nicht kreativ. Lüge zwei: Ich kann nicht singen.“ Zwischenruf: „Wir sind hier alle kreativ!“ Schreuf: „Eben, sag ich ja!“ Das mag der große Schwachpunkt seiner Argumentation und seines Haderns mit seinem Publikum sein. Dass er zwar Räume zugesteht, aber keine Räume lässt. „Mach dein Festival! In deiner Küche, in deinem Wohnzimmer (…)“ fordert er enthusiastisch und wird nur von Fehmi Baumbach von der Aufzählung weiterer Räumlichkeiten abgehalten. „Kristof! Mach schneller!“ ruft Fehmi. Vor der Bühne haben sich fünf Tänzer versammelt. Eine Frau in rotweißem Blumenkleid tanzt barfuß zu „Last night a DJ saved my life!“ Die Träger ihres Kleides sind durchsichtig. Free Again. Solche Konzertsituationen gibts dann auch.

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Ein bärtiger Mann in Sommerhemd, Sommerhut (schwarzes Hutband), rosafarbenem Schal und mit hellbrauner Ledertasche trinkt ein gezapftes Bier und starrt mir über die Schulter ins Notizbuch. Seine Frau sieht genauso aus wie er. Und ich weiß: sie reden auch über das Gleiche. Nur manchmal benutzen sie andere Worte für den selben Sachverhalt. Es ist auch eine Art Gier immer wissen zu wollen, was wer schreibt. Dabei müsste man manchmal einfach nur zuhören.
Ride like the wind“ höre ich und „Border of Mexico”. Such a long way to go. Tanzen. Nach jedem Song heult ein Mädchen wie ein Wolf. Wie ist das zu deuten? Kennt man das auf einem Konzert von Kristof Schreuf?
Gehört es zum Inventar? Oder ist es einfach nur so bescheuert, wie es klingt?

In diesem Moment passiert etwas Unvorhergesehenes. Ein silberfarbener Passat fährt während des nächsten Songs durchs Publikum an der Bühne vorbei zum Ausgang. Da ist selbst Kristof Schreuf für einen Moment sprachlos und unterbricht sein „Stayin alive.“ Dann spekuliert er schnaubend über sein höchsteigenes Pferd auf dem Flur und es ist ein toller Moment, als er den Fahrer imitiert: „Meine Botschaft an dich Kristof ist, dass ich das Auto direkt vor deiner Fresse parke!“ Immerhin könnte es sein, dass der Fahrer sich beim Doppelkopf spielen verspätet habe, überlegt er.
Unvermittelt fährt er fort. „Stayin alive, oh oh oh.“ Das ist auch Kristof Schreuf: ausufernd, unendlich, allumfassend. Wie Gott, aber mit Anspruch.

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Es gab mal einen Begriff, an dem viel dranhing. Indie! Independant. Is vorbei, is scheiße. Ist lange nicht mehr 20, nicht mehr 30. Heute machen die Leute von damals bei der Jägermeistertour mit und kriegen 10000€ pro Abend. Indie ist heute ein possierliches Haustier, ein Schlaftier. Ich war in einer Indieband, sie heißt Kolossale Jugend. Jetzt kommt ein Song dieser Band, er heißt „Bastard“.“

Fehmi kommt rüber zu Jorge und mir. Sie bietet uns Lakritz an. Als sie auf die Uhr ihres Handys schaut ist es 22:43Uhr. Das Publikum will von Kristof Schreuf „Watt zum Tanzen“. Er schlägt einen „Hannibal- Lector- mäßigen Deal“ vor. „Quid pro quo!“ Wir sind auf einer Ebene,“ appelliert er „auch wenns räumlich anders aussieht!“ Zwei Jungs gehen an der Bühne vorbei, einer sagt halblaut in Richtung Schreuf: „Ruhe!“ Jorge fotografiert durch die weiße Bühnenverkleidung, ich habe den Geruch von Lakritz und Selbstgedrehten in der Nase. Im Kopf habe ich, was eben noch die Luft erfüllte. „Nur Worte gehen weiter als ich. Rock’n’Roll hilft gegen Musik.“
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Ein paar Augenblicke später treffen wir gemeinsam mit Fehmi Kristof Schreuf, der hinter der Bühne auf einer Bank Platz genommen hat und Mineralwasser trinkt. Er signiert eben das Vinyl von „I’m a boy with Schatzitude.“ Dann geben sich Fehmi und er alle Mühe, ihre Ähnlichkeit zu unterstreichen. Jorge schießt exklusive Fotos der beiden Künstler. Sie malt ihm die Lippen rot, er streicht sich die halblangen Haare hinter die Ohren. Sie drücken die Köpfe aneinander. Es wird albern. Wäre Fehmi ein Mann, dann wäre sie Kristof. Und umgekehrt. Sie sind siamesische Zwillinge, das bemühen sie sich zu betonen. Nur hat Kristof keine Ohrlöcher.

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20 Millionen Romane und Kristof Schreuf « kristof schreuf
13. Dezember 2010 um 12:53
I look like a human being so you can recognize me but I am a crack, I want to go through walls « eve massacre blog
17. Januar 2011 um 01:24

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eskalaparty 26. Juni 2010 um 23:50

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