Love me tender, alter Verschwender

by eskalaparty on 24. Januar 2007

Ronnie O’Sullivan hat das Masters gewonnen und gespielt wie Gott.

Hamburg im Januar, vor den Säulen das erste zertretene Eis des Jahres.
Sie sagen, wir machen es so nicht mehr lange. Sie sagen, die Insekten werden
nicht mehr sterben. Sie reden und ich hör ihnen nicht zu. Es hat mich noch
nie interessiert, Angst zu bekommen. Ich hatte davon immer selber genug.
Der erste kalte Tag, mein Atem wird weiß und ich geh zur S-Bahn.
Ich treff einen Freund, der den ganzen Tag noch nichts gegessen hat und wir
fahren nach Harburg. Wir steigen ins Auto und wir fahren raus, raus zu Tom
Liwa.
Beim Walmart parken, da fingert einer an den Autos rum. Wenn er meinen
Rucksack klaut, dann klaut er meine Plutarchausgabe. Wenn er jetzt hier einbricht,
kommen wir vielleicht nie wieder nach Hause. Beim Walmart geparkt und am
Jäger vorbei ins Schulterblatt. Ich kenn mich hier nicht aus, hier kennt man
sich aus. Hier sehen alle wie ich aus.
Tafel vor dem 73, das ist ein neuer Kulturtreff. Stand das nicht so im
Internet? Neues Kulturhaus neben der Flora? Ich weiß nicht mehr, jedenfalls neu.
Drinnen verkaufen drei Leute Twix und beim Schild zu den Toiletten ist der Weg
zu Tom Liwa. Da gibts keinen Scheideweg, da gehts nur nach unten. Die
Abreisserin isst Paprika und statt etwas zu sagen, sortiert sie Schokoladenriegel.
Es ist Rauchverbot und ich freu mich. In diesem gekachelten Keller mit dem
Teppich an der Decke würd ich sonst nur daran denken können, wie übel mir ist.
Mir ist übel, ich hab auch den ganzen Tag nichts gegessen.
Es ist nicht richtig, dass wir nichts gegessen haben. Wenn man so etwas
sagt, hat man doch immer etwas gegessen. Ich habe bei Subway gegessen.
Meine Freunde wissen nicht, wer Tom Liwa ist. Ich weiß nicht, ich halte
nichts von Kategorien. Ich such nach einer Kategorie und ich komm auf Blumfeld.
Ich hätte vielleicht Bernd Begemann sagen sollen, oder Tilman Rossmy. Ich sage
Blumfeld, vielleicht wegen Liwas Lied über Kylie und Jochen. Das ich
Blumfeld sage, ist aber zugleich ein Omen. Denn das sollte nicht das letzte Mal
sein, dass ich an diesem Abend von Blumfeld sprechen würde.
Tom Liwa kommt in weißem Hemd und in Weste, ganz alleine mit Admira, seiner
Gitarre.
Er hat sie zusammen mit einer Les Paul gekauft. In einem seltenen Moment
seiner Karriere, als er mal Geld hatte und eine Les Paul kaufen wollte, eine
schwarze Les Paul, genau wie Neil Young. Mittlerweile hat er die Les Paul gegen
eine Zwölfseitige getauscht, während Admira gerade Karriere macht. Das nennt
man doch so, wenn Gitarren gespielt werden?
Admira, die Bewundernswerte. Admira, genau wie Admiral. Relikt aus einer
Zeit, als alle Seemänner noch Dragqueens waren. Admira+ Les Paul gab es für 2000?
.

Tom Liwa war sich lange nicht sicher, ob er für Admira gut genug wäre.
Dann hat er umgeschwenkt. Alles, was nicht klappt, wird solange gespielt,
bis es klappt.
Oder bis er keine Lust mehr hat.
Er hat sich die Haare abgeschnitten und einen Bart wie Lincoln wachsen
lassen.
Er fängt an mit Flowerpornoesstücken, von der neuen Flowerpornoesplatte.
Nicht von DER neuen, sondern von der danach. Er nennt sie Souterrain Baumhaus,
oder es gibt sie vielleicht auch einfach nie. Vielleicht wird es sie 2008
geben. Tom hat die Stücke geschrieben, als er einen Lauf hatte.
Er singt von einem Mädchen, mit dem sich alle Jungs sehen lassen wollten.
Einem Mädchen, das zu cool für alle Jungs war. “Cool ist das Wort für dich”,
singt er.

Wir sehen aus, als hätten wir Lust auf etwas Drolliges. Deswegen singt uns
Tom Liwa das Lied vom Herrn Drachen. Beim Lied des Herrn Drachen muss man
mitmachen. Man singt “O”, “Ah”, “Hui” und “Hey.” Der Herr Drache lebt in einer
Kugel. Von innen ist sie hellblau, von außen rot und golden. In seiner Kugel
gibt er Teegesellschaften für junge Dinger. Das Lied ist zu Ende und Tom Liwa
entschuldigt sich:
“Danke Hamburg, ich mach das auch nie wieder.”
Er weiß, wenn er viel auf Admira spielt, dann wünschen sich viele seine
E-Gitarre. Er weiß, dass es immer für jemanden nicht passt. Ich wünsch mir im
Stillen “Cortez the Killer.”
Er trinkt zwischen den Stücken Mondwasser und erzählt von Charisma aus der
Tube. In zehn Jahren wird es Charisma aus der Tube geben, hat er gelesen. Man
geht in die Apotheke und kauft es für den Bruder, der es mal ausprobieren
will. Ruhig die große Packung. “Schatz, die Sozialarbeiterin kommt, lass uns die
Kinder mal mit Charisma einschmieren.” Den Welthunger kann man nicht
bekämpfen, aber hey: Charisma aus der Tube. Das muss man erstmal richtig auf sich
wirken lassen.
Seinen Sommerurlaub 2007 finanziert er sich mit ?Die Stadt?, dem Song, den
er für Klee geschrieben hat.
Dann ist Schluss, Tom Liwa steht von seinem Stuhl auf, legt Admira aus der
Hand und sagt:
“Und denkt daran, wenn ihr nach Hause geht:
Es ist alles nicht so schlimm, denn in Wirklichkeit ist alles nicht so
schlimm.”
Die Cds aus seiner Gemüsekiste riechen nach Kartoffeln, weil er vergessen
hat, die Kiste auszuwischen. Ich kauf ein Flowerpornoesalbum und wir fahren
nach Hause.
Mein Rucksack liegt noch im Wagen, wir fahren etwas essen und ich setz mich
an den PC.
Ich les meine e-mails und es ist Jochen, der schreibt: “Der Kreis hat sich
geschlossen. Blumfeld gibt es nicht mehr.” Es ist so traurig, es ist so schön.
Es ist beides zugleich, so ein schönes Konzert und dann eine Hiobsbotschaft,
es schmeckt wie Dinkelkleie.
Es ist nicht die Frage, ob Jochen solo weitermacht. Jochen macht weiter(
alles macht weiter). Es ist nur so, wenn es Blumfeld nicht mehr gibt, dann gibt
es BLUMFELD nicht mehr. Das ist der Satz, den ich nicht hören will. Da bricht
ein großer Teil weg. Erst sagt sich der King vom Pop los und dann lösen sich
Blumfeld auf.

Und ich bin euphorisiert von Tom Liwa. Es ist alles nicht so schlimm, denn
in Wirklichkeit ist alles nicht so schlimm. Ronnie O’Sullivan hat das Masters
gewonnen und gespielt wie Gott. Ich wünschte, ich wäre beim Herrn Drachen.
Ich säße in seiner Kugel und wir würden Tee trinken. Herr Drache, Ronnie O?
Sullivan, Jochen und ich.
Jetzt sitz ich stattdessen hier, mit meiner Cd, die nicht nach Kartoffeln
riecht und höre:” Das ist dieser Typ, der glaubt an alles, was ich mach. Jeder
Scheiß den ich schreib geht ihm unter die Haut, über jeden schlechten Witz
muss er lachen. Wenns mir dreckig geht, findet er sich drin wieder. Ich hab
versucht ihn los zu werden, doch ich werd ihn nicht los.” Draußen das erste Eis
auf den Straßen.

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